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Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Äußerungen im Rahmen kommunaler Öffentlichkeits- und Erinnerungsarbeit

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Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die Äußerungen des Münchner Oberbürgermeisters betraf. Dieser hatte auf eine schriftliche Eingabe einer Privatperson hin das Ausstellungskonzept des Dokumentationszentrums über die Geschichte Münchens in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Dokumentationszentrum) in Schutz genommen und die fehlende Einbeziehung der wissenschaftlichen Werke des Beschwerdeführers gerechtfertigt. Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass die Äußerungen des kommunalen Wahlbeamten die verfassungsrechtlichen Grenzen nicht überschritten haben. Die insoweit geltenden Maßstäbe sind von den besonderen Neutralitätsanforderungen zu unterscheiden, die für amtliche Äußerungen von Regierungsmitgliedern im parteipolitischen Wettbewerb gelten.

Sachverhalt:

Im Jahr 2016 veröffentlichte der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem weiteren Autor ein Buch, das die Darstellung der Haltung der Münchner Bevölkerung durch das NS-Dokumentationszentrum als einseitig kritisierte. In dem Buch werden diverse Zeitzeugenaussagen aufgeführt, aus denen sich aus Sicht der Autoren ergibt, dass die Münchner Bevölkerung mit den Verfolgten sympathisiert habe und den Nationalsozialismus nur als „unabänderliche Schickung“ ertragen habe. Nach der Veröffentlichung des Buches wandte sich ein Bürger schriftlich an den Münchner Oberbürgermeister und kritisierte die Konzeption des NS-Dokumentationszentrums unter Hinweis auf die Veröffentlichung des Beschwerdeführers als wissenschaftlich unausgewogen. Dieser antwortete, dass die Ausstellung von einem wissenschaftlichen Beirat kuratiert werde, dass die wissenschaftlichen Auffassungen des Beschwerdeführers von Experten einhellig abgelehnt würden, dass dieser in den Augen eines besonders renommierten Experten durch „willkürliches Zusammenklauben von Zitaten“ das Geschäft derer betreibe, die die deutsche Bevölkerung von einer Verantwortung für den Holocaust reinwaschen wollten und dass die Diskussion am NS-Dokumentationszentrum auf wissenschaftlichem Niveau stattfinde. Nachdem er vom Inhalt dieses Schreibens erfahren hatte, nahm der Beschwerdeführer die Stadt München erfolglos gerichtlich auf Entschuldigung beziehungsweise Widerruf in Anspruch.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist bereits unzureichend substantiiert. Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen wird nicht erkennbar, wie scharf und detailliert die in dem anlassgebenden Schreiben geäußerte Kritik am Ausstellungskonzept ausfiel und welche Anregungen zu Änderungen gemacht wurden. Damit fehlt ein wesentlicher Bezugspunkt der verfahrensgegenständlichen Äußerung, deren Verhältnismäßigkeit und Sachlichkeit nur im Zusammenhang mit dem dazu Anlass bietenden Schreiben beurteilt werden können. Denn es spielt für die Verhältnismäßigkeit staatlicher Äußerungen eine erhebliche Rolle, in welchen Kontext sie fallen und auf genau welche Infragestellungen sie reagieren. So wäre beispielsweise für eine Äußerung in einem sozialen Medium, das auf starke Vereinfachung und Verkürzung zielt, eine pointiertere und gröbere Zuspitzung zulässig als in einem die Ausstellung begleitenden wissenschaftlich kuratierten Katalog. Das sind Fragen, die ohne Kenntnis des konkreten Inhalts des anlassgebenden Schreibens nicht beurteilt werden können. Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch davon abgesehen grundrechtliche Fehler der Fachgerichte nicht auf.

Der Sachverhalt liegt erheblich anders als im Verfahren 1 BvR 2585/06, in dem sich der Beschwerdeführer erfolgreich gegen einen ihn herabsetzenden Rundbrief der Bundeszentrale für politische Bildung an alle Abonnentinnen und Abonnenten gewandt hatte. Vorliegend wird nur in entschiedener Form gegenüber einem einzelnen Bürger begründet, warum man den wissenschaftlichen Beiträgen des Beschwerdeführers im Rahmen des NS-Dokumentationszentrums kein Forum zur Verfügung stellen wollte und weshalb man seine Thesen und Arbeiten für fragwürdig hält. Dies muss einer Gemeinde im Rahmen ihrer Selbstverwaltung, die eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung und öffentliches Erinnern einschließt, möglich sein. Die Gemeinden sind als Keimzellen der Demokratie politische Verbände, die sich durch ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter zu ihrer Geschichte und den daraus folgenden Lehren und Verantwortlichkeiten verhalten können müssen. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die besonderen Neutralitätsanforderungen, die für amtliche Äußerungen von Regierungsmitgliedern im Wettbewerb der Parteien gelten, hier nicht in Rede stehen. Denn der das Ausstellungskonzept nach außen vertretende Oberbürgermeister handelte nicht im parteipolitischen Wettbewerb, sondern nahm als kommunaler Wahlbeamter eine gesellschaftliche Repräsentations- und Integrationsfunktion wahr.

von
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